Die bereits seit mehreren Jahrtausend währende Kunst- und Kulturgeschichte bietet uns zahllose Denkmodelle und Stilrichtungen an, sodass man sich unwillkürlich fragt, warum dies so ist - denn sollte es mit dem Verlauf der Zeit nicht immer wahrscheinlicher werden, dass dort irgendwann irgendetwas dabei ist, das als verbindlich gelten und somit unserer Existenz eine verlässliche Orientierung bieten kann? Was sind die Gründe für diese permanenten Veränderungen und Infragestellungen?
Die Vermutung liegt nahe, dass es sich hierbei sehr oft um eine Mixtur aus Enttäuschung und Überdruss handelt. Enttäuschung - und dies ist sicher das erste Motiv - , da in jeder Form stets ein Versprechen verborgen ist, welches nach Einlösung verlangt - was aber, wenn ich mich niemals in den Olymp der von den Künstlern und Denkern geschaffenen Göttern gleichgestellt fühlen darf, wenn mein Alltag nur allzu irdisch und damit zumeist auch äußerst beschwerlich bleibt? Und natürlich: Daraus können Kriege entstehen.
Überdruss dürfte auch ein wichtige Rolle dabei spielen, wenn die Köpfe von Kunst und Kultur früher oder später rollen. Denn je länger ein gesellschaftlicher Kanon über die „Art und Weise des Zusammenlebens“ besteht, umso länger haben deren Mitglieder die Zeit, sich in einer Sicherheit zu wiegen, die sie auf „dumme“ Gedanken kommen lässt: „Ja, klar, alles gut und schön…aber ist das nicht alles furchtbar altmodisch? Kann und sollte man das mit der gesellschaftlichen Gestaltung nicht auch ganz anders machen…?“
Obwohl die kulturelle Realität deutlich komplexer und daher schwieriger nachzuvollziehen ist (man denke nur an die Auswirkungen der Wissenschaften) und obwohl immer auch der Generationswechsel mit einbezogen werden muss, so ist doch unleugbar, dass es „die“ Lösung in Sachen Formfragen (verstanden im umfassendsten Sinne des Zusammenlebens) ganz offenbar nicht geben kann. Der Blick in die Vergangenheit bietet vielmehr eine VIELZAHL unserer menschlichen Optionen: Unsere Aufgabe ist es darum, herauszufinden, welche davon zu welchem Zeitpunkt für uns Geltung haben können und also konkret lebbar sind. Dies ist auch der Grund dafür, weshalb wohl nur ein einziger Glaubenssatz für uns von Dauer ist, nämlich, dass wir auch als Individuum niemals mit uns fertig sind.