Über Geschmack kann man nicht streiten? Ganz falsch, ganz im Gegenteil.

Oft wird ziemlich gedankenlos kolportiert, dass man sich über Geschmack ja nicht streiten könne - ich entgegne: Über was denn bitte sonst? Klar sollte sein: Wer sich verbittet, dass Andere den eigenen Geschmack kritisieren, möchte im Grunde JEDE Kritik an der eigenen Person unterbinden - aber wer sind wir denn, dass wir NICHT zu kritisieren wären?! 

Hinter der latenten Forderung, den eigenen Geschmack unantastbar werden zu lassen, steckt einerseits die Angst, dass die eigenen Vorlieben und Wünsche keine Akzeptanz finden könnten. Andererseits will man auch der möglichen Erwartung einer Begründung des eigenen Geschmacks den Wind aus den Segeln nehmen: Wenn man sich über Geschmack nicht unterhalten kann, da ja schließlich alles erlaubt und somit auch gleichwertig ist, ist jede Diskussion - und damit eigentlich auch jede Kommunikation - eben auch sofort beendet.

Der Relativismus, der in dieser abwehrenden Haltung steckt, ist vor allem ein Gleichmacher, der insbesondere ein Ringen um Qualitäten unterdrückt - und leider muss dieser immer häufiger auch innerhalb der Kunst konstatiert werden: Da ich „Künstler“ bin, darf ich auch alles und muss mich auch nicht rechtfertigen. Darin liegt allerdings ein Missverständnis, wonach die Kunst absolut „frei“ ist, was sie eben definitiv NICHT ist.

Denn nach wie vor entscheidet vor allem die POSITION eines Künstlers darüber, ob er überhaupt diskurs- und diskussionswürdig ist: Wenn ich heute Sonnenaufgänge male, dann mögen dies manche Leute als „schön“ empfinden, andere jedoch als inhaltsleeren Kitsch. So könnte es auch sein, dass ein Künstler den Sonnenaufgang zwar malt, diesen aber dabei ironisiert und damit klar macht, dass er sowohl dem Naturereignis wie auch dessen Rezeption nicht gedankenlos anhimmelnd, sondern fragend gegenüber eingestellt ist. 

Es ist sicher und durchaus eine individuelle Entscheidung, ob man sich der kompletten Gedankenlosigkeit oder lieber den Fragen nach der eigenen Motivation hingibt - tatsächlich Geschmack haben allerdings ausschließlich diejenigen, die sich zuvor auch ein dezidiertes GeschmacksURTEIL gebildet haben: Ohne (Selbst-) Kritik ist dies jedoch unmöglich.

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Sobald du die letzten Daseins-Fragen beantworten willst, spottet die Natur über dich.

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Die Kunst ist niemals mit sich fertig - weil auch wir niemals mit uns fertig sind.